»Strafe muss sein« Kurzgeschichte in der Anthologie: Geschichten aus aller Welt - Jedes Wort ein Atemzug
»Mami?«
Das, zusammen mit dem gekonnten Augenaufschlag meiner Tochter, ließ mich in Hab-Acht-Stellung gehen. Da sie üblicherweise nur ‚Mom‘ zu mir sagte, wollte sie vermutlich etwas von mir. Ich hatte zwar mitbekommen, dass sie Markus, meinen Mann, abgefangen hatte, als er von der Arbeit nach Hause kam, was die Zwei im Flur tuschelten, konnte ich aber nicht verstehen.
Als Mutter ist man ja gegen solche Überraschungsangriffe in Form von herzerweichenden Wimpernaufschlägen gefeit, Markus hingegen konnte Leonie kaum etwas abschlagen. Deswegen hatten wir schon zahlreiche Auseinandersetzungen, die er allerdings stets damit beendete, dass er mich umarmte. Er zog dabei jedes Mal einen Schmollmund, dem ich, selbst nach zwanzig Jahren Ehe, nicht widerstehen konnte, was er natürlich wusste und, das könnte ich beschwören, ganz gezielt einsetzte. Trotzdem war es mir gelungen ihn zu überzeugen, dass er ihr nicht alles durchgehen lassen dürfe und wichtige Entscheidungen zuerst mit mir absprechen solle.
Offenbar hielt er sich daran, worüber ich mich eigentlich freute. Andererseits hatte er ihr aber wieder nichts abgeschlagen, sondern sie stattdessen zu mir geschickt.
»Mamilein«, wiederholte Leonie noch einmal schmeichelnd, weil ich ihr bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Sie legte dabei einen Arm über meine Schulter, was ihr mühelos gelang, denn trotz ihrer erst siebzehn Jahre war sie sehr groß und überragte mich bereits jetzt um mehr als einen halben Kopf.
»Ach, Schätzchen, das ist lieb von dir, dass du mir helfen willst«, überging ich sie erneut und überhäufte sie mit Anweisungen. »Reich mir doch bitte die Nudeln. Das Abtropfsieb kannst du auch gleich herausholen und dann auch noch den Tisch decken.«
Sofort zog sie ihren Arm zurück und sah mich vorwurfsvoll an, langte aber, nach einem Blick auf meine gerunzelte Stirn, doch ...